30. November 2011 - Porträts & Personalien

Quelle: OZ Alsfeld

„Wir Kriegskinder hatten eben mit den Folgen klarzukommen"

Marie-Luise Kopp nimmt 75. Geburtstag zum Anlass für Spende an Kriegsgräberfürsorge

STORNDORF (mp). „Mama, warum gehst du immer nur in Schwarz? Andere Mütter sind so schön angezogen!" Es war damals eine Art Ratlosigkeit in der Stimme der kleinen Tochter. Und noch heute steht Marie-Luise Kopp vor Augen, wie sehr sie als Kind darunter gelitten hat, dass ihre Mutter es seit dem Tod des Vaters ablehnte, Kleidung in hellen Farben zu tragen.

Auch ging die Mutter keine Ehe mehr ein, genauso wie sie die Zeit ihres restlichen Lebens nach dem Tod ihres Mannes häufig krank war. 89 Jahre alt wurde die in jungen Jahren humorvolle und fröhliche Mutter. „Seit sie 1995 starb, muss ich viel mehr als vorher an meinen Vater denken", resümiert Marie-Luise Kopp. Sechs Jahre alt war die heutige Storndorferin, 34 Jahre ihr Vater, als sie ihn zum letzten Mal sah. Wenige Tage Heimaturlaub von Russland waren ihm zugestanden worden. 1942, kurz nach der Rückkehr an die Front im Kaukasus wurde er tödlich verwundet. Sein Grab fand er damals in Abinskaja.

Schicksale, die geprägt wurden durch den Zweiten Weltkrieg gibt es im Vogelsberg in hoher Anzahl. Obwohl es sich hier mit eigentlichen Kriegshandlungen in Grenzen hielt. Nur: An die Front mussten von hier aus wie aus anderen Teilen Deutschlands ebenfalls viele junge Männer. Hunderte, die nicht zurückkehrten. Die entweder gefallen waren oder zunächst als vermisst gemeldet wurden. Manche wurden nie ausfindig gemacht. Das Leid, das in solchen Fällen über die betroffenen Familien hereinbrach, war jeweils unermesslich. Immer war es so, dass das Leben der Angehörigen weniger oder mehr, oft genug jedoch völlig aus den Fugen geriet. Pläne, die man vielleicht als Hochzeitspaar geschmiedet hatte, verschwanden innerhalb von Sekunden in einem nichtssagenden Nirwana.

Still blickt Marie-Luise Kopp in die flackernde Kerze auf dem Tisch. Noch heute im Ohr hat sie den satten Klang der blitzend gepflegten Zündapp, auf der sie der Vater manchmal mit in den Wald rund um Hainbach mitgenommen hatte. Wie es überhaupt immer so schön war als kleines Mädchen mit ihm. Wenn zum Beispiel wieder einmal die übermütigen Dackel aus der wertvollen Zucht des Revierförsters durch die Wohnung tobten. Zeiten, in denen Mutter und Tochter jedes Mal besonders gefordert waren, die übermütigen schwarz glänzenden Bengel zur Ruhe zu bringen. Unvergessen,wenn der Vater in seinem grünen Lodenmantel einen erlegten mächtigen Keiler oder Rehbock mit imposantem Gehörn voller Ehrfurcht auf dem Hof ablegte.

Schließlich dieser Morgen, an dem Vater mit dem Fuß wie gewöhnlich an den Starter seiner Maschine kickte. Nein, seine geliebte Zündapp, die würde er niemandem überlassen. So sehr ihn seine Frau auch darum gebeten hatte. Daran erinnert sich Marie-Luise Kopp bis heute, an dieses: „Lass doch jemand anderes fahren!" Auf diese Weise führte der Vater den Befehl, der damals aus dem Ministerium kam, selbst aus.

Wie bei vielen anderen Landwirten beispielsweise wertvollste Zuchtpferde konfisziert wurden für die deutsche Wehrmacht, wurde in diesem Falle das Motorrad eingezogen. Vor Ort gebracht werden sollte es ins Sudetenland, wo gerade die deutsche Besetzung begann. Man schrieb das Jahr 1938, als sich der Förster aus dem Vogelsberg auf den Weg machte. In Homberg, wo es in einen Zug verladen werden sollte, wurde die Maschine in Empfang genommen - und der Förster gleich mit. Zum erwarteten Termin am übernächsten Tag kehrte er nicht nach Hause zurück. Auf der Stelle sollte er gemeinsam mit der Zündapp bei der Einheit im Sudetenland einrücken.

Ins Land gingen die Jahre, wenige Male erhielt der Vater Heimaturlaub. Wie 1942, als es ein kurzes Wiedersehen zwischen der dreiköpfigen Familie in Hainbach gab. Fast direkt nach der Rückkehr in den Kaukasus fiel der Vater. Der damalige Wehrmachtspfarrer aus Gießen fuhr eines Tages auf den Hof und überbrachte der Mutter diese Nachricht.

Immer öfter erlebte die kleine Tochter von da an die Zusammenbrüche der Mutter, die permanent von Weinkrämpfen begleitet wurden. „Wie ein schwerer undurchdringlicher Schatten haben diese unendliche Traurigkeit meiner Mutter und der frühe Tod meines Vaters sich bis heute über mein Leben gelegt. Wir Kriegskinder hatten eben mit den Folgen klarzukommen."

Verlassen mussten Mutter und Tochter 1951 das Forsthaus in Hainbach, mit den beiden Dackeln ging es nach Storndorf. Hier betrieb die Mutter noch lange eine renommierte Dackelzucht. „Vielleicht das letzte Stückchen lebendige Gemeinsamkeit mit unserem Vater."

Vor Kurzem wurde Marie-Luise Kopp 75 Jahre alt. Und sie entschloss sich, anstatt von Geschenken Spenden für den „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge" entgegenzunehmen. Schließlich hatte diese Organisation immer wieder geholfen. Nicht zuletzt, als der Vater vor vier Jahren umgebettet wurde auf den Soldatenfriedhof in Apscheronsk bei Sotschi.

Schön war die Geburtstagsfeier mit Gästen, die den Wunsch von Marie-Luise Kopp ernst nahmen und 416 Euro einwarfen. Die Jubilarin stockte auf mit 83 Euro. Einen Büro gab der jüngste Enkel von seinem Taschengeld dazu, 500 Euro werden nun dem „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge" übergeben werden. Am Ende ist da ist noch etwas, was Marie-Luise Kopp am Herzen liegt: „Alle Friedensverhandlungen dieser Welt sollten mit dem Besuch auf einem Soldatenfriedhof beginnen!"

Marie-Luise Kopp setzt sich mit ihren Möglichkeiten für Frieden ein.

Foto: mp

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