8. Oktober 2019 - Porträts & Personalien

Quelle: OZ Alsfeld 07.10.2019 - Von Christian Dickel

Hausärztin Zahra Hosseini behandelt heute erstmals in Brauerschwend

 Zahra Hosseni

Hausärztin Zahra Hosseni hat heute ihre erste Sprechstunde im Ärztehaus der Gemeinde Schwalmtal. Foto: Dickel

BRAUERSCHWEND - Es ist ein besonderer Montagmorgen für die Ärztin Zahra Hosseini. Sie hat erstmals Sprechstunde in der jetzt umbenannten Gemeinschaftspraxis Hosseini/Böhm im ehemaligen Bürgerhaus in Brauerschwend. Die Oberärztin für Innere Medizin hat sich dafür entschieden, das Krankenhaus in Schotten zu verlassen und künftig als Allgemeinmedizinerin zu arbeiten.

"Ich wollte weiter im Team arbeiten und außerhalb des Krankenhauses flexibler sein - ein besseres Gleichgewicht zwischen Leben und Arbeit", erklärt sie ihre Entscheidung. Seitdem sie Oberärztin geworden sei, habe sie unheimlich viele Dienste gehabt, und viele private Dinge seien auf der Strecke geblieben. Durch ihre Festanstellung im Krankenhaus habe sie die Sicherheit gehabt, ihre drei Kinder im Studium zu unterstützen. Da nur noch ihre jüngste Tochter studiere, könne sie jetzt bedenkenlos den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. "Als Oberarzt verdient man gut, aber ich wollte den Job gegen Flexibilität tauschen", führt sie aus. Daher habe sie sich einen Praxisberater gesucht und habe von dem Projekt in Schwalmtal erfahren. "Das Modell mit der Gemeinde, die die Immobilie für eine Hausarztpraxis zur Verfügung stellt, hat mir sehr gut gefallen", betont Hosseini. Sie sei auch von Allgemeinmedizinern in Schotten angesprochen worden, ob sie sich vorstellen könne, bei ihnen in die Praxis einzusteigen. Aber sie habe nicht innerhalb Schottens aus dem Krankenhaus in eine Praxis wechseln wollen. Für sie sei klar gewesen, dass - wenn sie den Schritt gehe - er mit einer örtlichen Veränderung einhergehen sollte. Daher habe sie sich direkt die Praxis in Brauerschwend angeschaut und sei überzeugt gewesen, dass sie das machen wolle. Mit Dr. Martin Böhm habe sie sich auf Anhieb gut verstanden, was ebenfalls wichtig für ihre Entscheidung gewesen sei. Außerdem habe sie eine verbindliche Entscheidung treffen wollen. Nachdem sie ein paar Tage im Frühjahr zur Probe bei Martin Böhm mitgearbeitet habe, seien auch die letzten Zweifel ausgeräumt worden. Schließlich habe sie sich auch gefragt, wie die Menschen in der Ortschaft auf sie reagieren. "Nicht nur die Mitarbeiter in der Praxis waren sehr freundlich, sondern die Patienten waren mir gegenüber total positiv eingestellt", betont Hosseini. Das müsse aber ebenso in umgekehrter Richtung gelten. Insbesondere ältere Patienten bräuchten jemanden, der mit ihnen ausgiebig spreche und auf sie eingehe. "Gerade bei alleinstehenden Senioren ist der Hausarzt oft die beste Kontaktperson", stellt sie heraus. Zum Abschied hätten ihr einige Krankenschwestern mit auf den Weg gegeben, dass sie gut für die neue Aufgabe geeignet sei. Darüber hinaus gehe sie davon aus, dass die Mentalität der Schwalmtaler ähnlich jener der Schottener sei. Daher rechne sie nicht mit Anpassungsschwierigkeiten.

Aber nicht nur beruflich wollte sie sich verändern, sondern damit einhergehend ebenfalls den Wohnort wechseln. Sie sei sechs Jahre lang von Usingen nach Schotten gependelt, aber das wolle sie nicht mehr. "Mein großes Ziel war, in der Nähe der Praxis zu wohnen", sagt die Ärztin. Dabei fiel ihre Wahl auf Alsfeld. In der letzten Septemberwoche stand somit der Umzug an. Noch seien nicht alle Kisten ausgepackt, aber das sei eben normal. An Alsfeld gefalle ihr neben der historischen Altstadt mit den vielen Fachwerkhäusern vor allem die Infrastruktur. "Ich kann künftig mit dem Zug meine Kinder besuchen. Die Verkehrsanbindung ist hier viel besser", stellt sie heraus. Einer ihrer Söhne habe kein Auto. Er könne künftig mit dem Zug nach Alsfeld zu Besuch kommen. Darüber hinaus habe sie an Wochenenden Gelegenheit, mit der Bahn in die umliegenden Städte zu fahren. Sie habe immer in Kleinstädten wie Usingen oder Schotten gewohnt. In eine Großstadt habe sie nicht ziehen wollen, daher habe sie auch ein Jobangebot in Düsseldorf direkt ausgeschlagen. Dass Alsfeld eine lebenswerte Stadt sei, hätten ihr vorab Alsfelderinnen berichtet, die in Schotten im Krankenhaus arbeiten. Das habe ihre Entscheidung zusätzlich erleichtert.

Die gebürtige Afghanin Hosseini, die seit vielen Jahren deutsche Staatsangehörige ist, stammt laut eigenen Angaben aus einer Akademiker-, aber aus keiner Arzt-Familie. Dass sie und ein Bruder Ärzte geworden seien, sei Zufall. Ganz im Gegensatz zur Familie ihres Mannes (selbst Neurochirurg), in der praktisch alle seit Generationen Ärzte seien. Auch ihr ältester Sohn habe gerade sein Studium der Medizin abgeschlossen. Dabei sei ihre Familie mittlerweile nach der Flucht aus Afghanistan in den 1990er Jahren über den kompletten Erdball verstreut, aber hauptsächlich in Europa und Kanada beheimatet. Die enge Verbindung ihrer Familie zu vielen anderen Afghanen - insbesondere in Russland, Tschechien und Bulgarien - stamme daher, dass zu Zeiten des Kalten Krieges viele studiert hätten. Sie selbst habe allerdings in Kabul studiert, aber nicht wie sich das die meisten Westeuropäer vorstellen würden. Afghanistan sei zu jener Zeit ein komplett anderes Land gewesen. "Wir hatten zwei weibliche Dozenten und haben gemeinsam mit Männern studiert, wie in Deutschland auch", berichtet die Ärztin. Zur groben Einordnung sei ihre Mutter das beste Beispiel. Diese sei als junge Frau - zu Zeiten des Königs - noch im Minirock auf die Straße gegangen, später mit einem Schal und am Ende in Vollverschleierung, beschreibt sie die gesellschaftlichen Veränderungen innerhalb einer Generation. Sie selbst habe als Ärztin immer den Menschen helfen wollen. "Es herrschte Krieg, ich hatte einen Säugling und als ich als Frau nicht mehr alleine auf die Straße durfte, mussten wir einfach raus", fasst sie ihre Beweggründe zusammen. "Während der großen Bewegungswelle vor 30 Jahren sind fast ausschließlich die Akademiker gegangen, das ist nicht gut für das Land gewesen und hat ihm geschadet", blickt sie zurück. Viel lieber möchte sie stattdessen über ihre drei Kinder reden. Sie hätten davon profitiert, zweisprachig - neben Deutsch auch Persisch - aufgewachsen zu sein. Ihr zweitältester Sohn habe Psychologie in Holland studiert und sei froh, dass er afghanischen Jugendlichen während der jüngsten Flüchtlingswelle habe helfen können. Ihre Kinder hätten in jungen Jahren auch den Wunsch geäußert, dass sie ihnen Paschto - die Amtssprache in Afghanistan, die neben persisch hauptsächlich gesprochen wird - beibringe. Das habe sie aber nicht gekonnt. Sie spreche zwar auch diese Sprache, es sei aber eben nicht ihre Muttersprache. Ihre Kinder betonten immer wieder, wie dankbar sie seien, dass sie in Deutschland aufgewachsen sind. Hier herrsche ein großes Maß an Sicherheit und die Bildungsmöglichkeiten seien hervorragend. Das alles lasse sich nicht mit dem Geburtsland ihrer Mutter vergleichen. Ihre jüngste Tochter habe sich mit dem Studium der Musikwissenschaften in Gießen einen großen Wunsch erfüllt und sei alleine in die Stadt gezogen - in Afghanistan undenkbar.

Mit Blick auf die ärztliche Versorgung meint Hosseini, dass Ärzte nur eine bestimmte Anzahl an Patienten adäquat behandeln könnten. Ihr Abschied aus Schotten sei sehr emotional gewesen, weil es dem Haus schwerfalle, die freigewordene Oberarztstelle neu zu besetzen. Daher hätten ihre Kollegen auch versucht, sie zum Bleiben zu überreden. Gerade in kleinen Häusern sei die Arbeit sehr anstrengend, und Familie und Beruf seien nicht einfach unter einen Hut zu bringen. Während ihrer Verabschiedung habe sie zudem erfahren, dass sie bereits die zehnte Ärztin aus dem Haus sei, die in eine Praxis wechsele. Das hänge aber auch damit zusammen, dass das Schottener Krankenhaus eine Ausbildungsstätte für Hausärzte sei. Nach dem plötzlichen Ausscheiden eines Mediziners in Schotten, habe sie zusätzlich eine Viertelstelle in der Art eines Medizinischen Versorgungszentrums besetzt, um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. "Das war eine sehr herausfordernde Zeit", hebt sie hervor. Auf der anderen Seite ist sie fest überzeugt davon, dass der Beruf des Landarztes in jüngster Zeit wieder attraktiver geworden sei. Sie jedenfalls sei sehr neugierig auf ihre neue Aufgabe, die sie am heutigen Morgen begonnen hat. Sie freue sich schon darauf, ein Teil der Gemeinde Schwalmtal zu werden. Foto: Dickel

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